Klein Jonas und die Stromgeister

Klein Jonas schaute fasziniert zu, wie sein Vater die bunten Gartenlichter aufhing. Alle Farben waren da: Rot, Blau, Grün und Gelb. Er konnte es kaum abwarten, sie brennen zu sehen.

"Wann ist es soweit?" fragte er aufgeregt.

"Gleich", antwortete sein Vater, "ich muss nur noch diese paar hier aufhängen und dann können wir den Stecker in die Steckdose stecken."

Klein Jonas nickte. Er wusste schon, dass Strom notwendig war, um die Lampen zum brennen zu bringen. Und der kam aus der Steckdose. Aber, so fiel ihm plötzlich auf, wie kam der Strom denn in die Steckdose?

"Paps", rief Klein Jonas. "Wie kommt der Strom in die Steckdose?"

Sein Vater blickte Jonas nachdenklich an und lächelte dann. "Weißt du, Jonas, das ist eine lange Geschichte. Soll ich sie dir erzählen?"

"Oh ja!", jubelte Jonas. Sein Vater konnte so tolle Geschichten erzählen.

"Angefangen hat alles mit den Geistern", begann Jonas Vater.

"Geistern?" fragte Klein Jonas schaudernd. Jonas Vater nickte.

"Ja, mit Geistern. Früher gab es sehr viele Geister. Die meisten von ihnen waren Tunichtgute, die es liebten, Unfug zu treiben und die Menschen zu ärgern. Einer ihrer bevorzugten Streiche war es, Blitze einzufangen, und dann nichts ahnenden Menschen einen solchen Stromschlag zu versetzen, dass ihnen die Haare zu Berge standen."

"Ui", sagte Klein Jonas, dem ebenfalls schon die Haare fast zu Berge standen.

"Ja, nichts als Schandtaten hatten die Geister im Kopf. Sie trieben es so wild, dass kein Mensch mehr von ihnen sicher war. So konnte es einfach nicht weitergehen. Da hatte ein kluger Mensch eine Idee. Er fing einen Geist ein und steckte ein Kabel in ihn hinein. Und schon floss der Strom aus den Geistern heraus und der Geist konnte keinem Mensch mehr einen Stromschlag verpassen. So hatte man eine einfache Möglichkeit gefunden, sich vor dem Geist zu schützen. Aber damit war das Problem noch nicht gelöst. Denn sobald wieder ein Gewitter aufzog, konnte der Geist wieder so viele Blitze einfangen, wie er wollte. Dann ging das ganze Spiel von vorne los."

Klein Jonas nickte. "Und was hat man dann gemacht?"

"Als nächstes versuchte man die Geister einzufangen und wegzusperren. Aber das Problem mit Geistern ist, sie können durch jede Ritze oder Schlüsselloch hindurchschlüpfen. Also musste man die Geister von allen Seiten einmauern, so dass kein noch so kleiner Weg nach außen führt. Mit der Zeit waren alle bösen Geister, derer man habhaft werden konnte, in Mauersteinen gefangen. Dort stecken sie nun fest. Und eine kleine Steckdose sorgt dafür, dass wir ohne Gefahr den Strom von den Geistern nutzen können."

Entsetzt blickte Jonas auf die Wand.

"Heißt das, da steckt ein Geist in der Wand?"

"Ja, überall, wo eine Steckdose ist, befindet sich ein Geist dahinter."

"Auch in meinem Zimmer?" fragte Klein Jonas, der sich gar nicht wohl bei dem Gedanken fühlte, dass neben seinem Bett ein Geist in der Wand wohnte.

"Mach dir keine Sorgen", tröstete ihn sein Vater. "Die Geister können dir nichts tun, sie sind ja im Stein gefangen und können nicht raus."

Beruhigt entspannte sich Klein Jonas wieder und sah, wie sein Vater die letzte Lampe aufhing.

"So, Jonas. Jetzt kannst du mal den Stecker in die Steckdose stecken."

Vorsichtig näherte sich Jonas der Steckdose.

"Papa", sagte er und drehte den Kopf. "Was machen wir, wenn der Geist keinen Strom mehr hat?"

"Oh, du meinst einen Stromausfall. In einem solchen Fall rufen wir das Elektrizitätswerk an, dass die uns von dort Strom schicken. Die haben dort tausende Stromgeister und können uns etwas Strom abgeben."

"Und wenn auch diese keinen Strom mehr haben?" hakte Klein Jonas nach.

"Dann müssen wir auf das nächste Gewitter warten", erklärte sein Vater. "Komm mal hier rüber und schau mal oben aufs Dach. Was siehst du dort ganz oben?"

"Eine Metallspitze."

"Das ist ein Blitzableiter. Der leitet den Blitz die Wand entlang bis runter zur Erde. So bekommen die Geister neuen Strom. Und jetzt schau mal, ob unser Stromgeist noch genügend Saft hat, um die Lampen anzumachen."

Klein Jonas rannte rüber zur Steckdose und drückte den Stecker rein. Die Lampen strahlten in ihren bunten Farben und Klein Jonas lächelte zufrieden.

 

© 2004 by Christian Wolbert